HNA Kassel
2.6.2003 |
Sonne
satt und heiße Rollen
Bei herrlichem Sommerwetter rollten Zehntausende am
Sattelfest durchs Fulda- und Wesertal
Kassel/Hann. Münden.
Nebel liegt über Kassel am Sonntagmorgen. Die Satteltaschen
sind gepackt. Noch einmal der Fahrradhelm festgezurrt
- und mit Schwung geht's aufs Rad. Und dann zum Sattelfest
37 000 Radler sind zwischen Kassel und Wolfsanger unterwegs.
Aber wo genau am Wolfsanger? Und wo sind die vielen Radler?
Mit Volldampf fahren zwei von ihnen vorbei. Also nix wie
hinterher. Moment mal da geht's doch nicht zur Fulda.
Also wieder in die andere Richtung. Allmählich treffen
sich mehr und mehr Radbegeisterte an der Fulda. Irgendwo
pfeift jemand "Jo mir san mi'm Radl do". Hunderte
von Radfahrern, Inlinern und Rollis versammeln sich vor
dem Landhaus Meister. Von hier geht es los in Richtung
Hann. Münden. Ein älterer Herr mit Vollbart
sagt zu seiner Frau: "Jetzt haben wir's endlich gefunden.
Stand ja nirgendwo ein Hinweisschild."
Wohlbehalten in einer großen Gruppe radeln und rollen
Jung und Alt, Groß und Klein an der Fulda entlang.
Da und dort stehen ein paar Angler. Der Blick streift
grüne Hügel. Am Wegesrand blühen Klee,
Margeriten, Holunderbüsche und Wildrosen. Am gegenüberliegenden
Ufer verabschiedet ein Pastor nach dem Gottesdienst seine
Gemeinde. Glockengeläut.
Ab und zu kreist ein Bussard am Himmel und hält Ausschau
nach Beute. Vogelgezwitscher ist neben dem Klacken der
Gangschaltungen zu hören. Und dann noch das Ssssss,
Ssss, Sssss der Rollerblades. Hoppla. Mit Schwung kommt
ein Mittvierziger auf Sommerskiern den Hügel hochgerollt.
In der Idylle kündigt sich mit Dschingderassabumm
die Radlertankstelle Wahnhausen an. "Schöner
Maid hast Du heut für mich Zeit ...", dröhnt
es aus den Boxen. Rauchwolken steigen über dem Grill
auf. Es riecht nach Pommes und Würstchen. Kulinarisch
ist einiges geboten auf dem Sattelfest. Das Angebot reicht
von Gegrilltem bis zu Obstkuchen, "Vollwert-Käsefüßen"
und Mais-Salat.
An der Radlertankstelle löschen die Hobbysportler
ihren Durst. Eine Inlinerin braust mit hochrotem Kopf
zum Mineralwasser. Ein anderer lüftet seine Socken
und stillt seinen Durst mit frisch gezapftem Radler.
Gestärkt geht's weiter. Inzwischen steht die Sonne
über der Fulda. Mütter und Väter rücken
die Sonnenhütchen ihrer Kinder zurecht. Viele junge
Eltern sind mit sportlichen Kinderwagen oder mit Anhängern
unterwegs.
Der Renner ist eine Anhängerkupplung an der das Vorderrad
des Kinderfahrrads aufgebockt wird und am Hinterrad des
Erwachsenenrads befestigt wird. Die Kleinen strampeln
mit Feuereifer auf dem vermeintlichen Tandem - obwohl
sie weder lenken noch wirklich mitradeln können.
Ein kleines Mädchen mit rotblonden Haaren und buntem
Fahrradhelm hat den Trick der Erwachsenen durchschaut.
Es protestiert und verlangt unter Tränen, dass es
abgekuppelt wird.
An der nächsten Radelstation in Wilhelmshausen gibt
es viele Möglichkeiten für die Eltern sich mit
den Kleinen wieder u versöhnen. An den Buden locken
Lebkuchenherzen und Eis. Kinderanimateur Tigertatze malt
Tatoos auf Kinderarme. Und wer noch nicht müde ist,
kann sich zu Techno-Tönen auf's Spinning-Rad setzen
und imaginäre Bergpässe hochjagen. Wer genug
hat, der sattelt seinen Drahtesel und radelt weiter. Nach
ein paar Kilometern ist schon die Fuldabrücke in
Hann. Münden in Sicht. Zur Musik von den Bluesbrothers
kühlt mancher seine heißen Füße
im Brunnen vor dem Rathaus. Und nach einem kühlen
Bier reisen die meisten mit Bus und Bahn zurück.
Aber wo geht's hier zum Bahnhof? |
HNA Kassel
2.6.2003 |
Viel Arbeit, die
Spaß macht
Viele Helfer beim Sattelfest sorgten
dafür, dass alles reibungslos über die Bühne
ging
Wilhelmshausen.
Dichtes Gedränge am Stand der Betriebskrankenkasse
Gothaer, Verkehr und Dienstleistung am vierten Sattelfest-Etappenpunkt
in Wilhelmshausen. Verschwitzte Radfahrer hielten hier
für einen Moment an, um eine der 4000 Bananen zu
ergattern, die Marketingleiterin Vera Maus und ihre Kollegen
verteilten. Bereits nach wenigen Stunden war der Vorrat
an gelben Energielieferanten aufgebraucht. "Unsere
Kampagne wird von den Leuten sehr gut angenommen. Für
das nächste Jahr werden wir wohl eine größere
Menge zur Verfügung stellen", so Maus. Gefallen
an der Aktion fand auch Melanie Brück aus Holzhausen,
die mit zum Fest kam. "Gerade bei dieser Hitze kann
man eine energiereiche Erfrischung gebrauchen."
Erfrischen konnten sich die zahlreichen Teilnehmer auch
am Stand des Frauenchors Wilhelmshausen. Viele fleißige
Mitglieder hatten am Tag zuvor über 30 Kuchen gebacken,
die sie nun an den Mann brachten. "Wir sind jedes
Jahr beim Sattelfest aktiv", so die 2. Vorsitzende
Martina Holzbrecher. "Auch wenn es viel Arbeit ist,
macht es Spaß.
Bei der Versorgung der Gäste mit von der Partie waren
ebenso Brunhilde Hahn und weitere Mitglieder der Bürgerinitiative
Wilhelmshausen, die einige Meter entfernt neben ihrem
Infotisch auch ein liebevoll dekoriertes Kuchenbüffet
aufgebaut hatten. Kaffee, Kuchen und jede Menge Austauschmöglichkeiten
über Gott und die Welt gab es auf dem Platz rund
um den "Kaffeewagen" der Kirchengemeinde Wilhelmshausen.
"In dieser Form sind wir zum ersten Mal auf dem Fest
präsent", so Pfarrer Norbert Mecke. "Zusätzlich
zum traditionellen Radlergottesdienst gehen wir nun auf
die Menschen zu und bieten Möglichkeiten zum Gedankenaustausch."
Der Verkauf von Kaffee und Kuchen diene einem guten Zweck.
Von dem Erlös soll ein Gemeindebus für die Jugendlichen
angeschafft werden.
Neben den Ständen der Vereine gab es jede Menge Show
und Action rund um das Rad auf der Strandwiese. Petra
Rosenkranz aus Vaake, die mit Töchterchen Clarissa
zum ersten Mal bei der Veranstaltung des Sattelfestes
dabei war, zeigte sich beeindruckt. "Wir hätten
nicht gedacht, dass hier so viel Rahmenprogramm geboten
wird. Nächstes Jahr sind wir wieder dabei."
Dabei sein wollen demnächst auch wieder Frank Becker
und seine Vereinskameraden von Velometall. Eines indes
bemängelten die leidenschaftlichen Radfahrer bei
der Veranstaltung: "Viele sind ohne Helm unterwegs.
Das ist in Anbetracht der Menschenmenge, die heute unterwegs
ist, unverantwortlich." |
HNA Kassel, 4.6.2003 |
Sorgen um die Sicherheit
Riesenandrang und Unvernunft bringen
Sattelfest an seine Grenzen
Kassel. Eng ging's her
am Sonntag auf den autofreien Straßen zwischen Kassel,
Hann. Münden und Gieselwerder. Und mitunter nicht
ungefährlich. Zehntausende Radler und Skater sorgten
beim Sattelfest für ein Gedränge, dass den Organisatoren
nicht selten den Atem stocken ließ. Michael Conrad
vom Kasseler Regierungspräsidium (RP): "Viele
glaubten offenbar, dass beim Fehlen von Autos auch die
Regeln der Straßenverkehrsordnung außer Kraft
seien. Das ist aber nicht so."
DRK-Helfer und Polizei attestierten vielen Teilnehmern
eine allzu große Sorglosigkeit. Da wurde aus voller
Fahrt so plötzlich gebremst, dass der Hintermann
nicht mehr ausweichen konnte. Da wurde nach links und
rechts abgebogen, egal, was da von vorn oder hinten nahte.
Da brachten gewagte Überholmanöver trotz dichten
Gegenverkehrs manch braven Radler mehr ins Schwitzen als
die knallige Sonne.
Die Folge: Das DRK musste zu 70 Einsätzen auf die
50 Kilometer lange Strecke. 19 Menschen wurden mit Krankentransportern
zur Behandlung von zum Glück meist leichteren Blessuren
gebracht. Darunter waren allerdings auch Fahrten, bei
denen Freizeitsportler von der Strecke gebracht wurden,
die sich bei großer Hitze schlicht übernommen
hatten.
Trotzdem: Insgesamt habe sich die Zahl der Unfälle
im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, berichtete Conrad.
"So sehr wir uns über den großen Zuspruch
freuen. Am Sonntag ist das Sattelfest schon etwas an seine
Grenzen gestoßen".
Auffällig sei, wie sorglos viele Eltern den mitradelnden
Nachwuchs ins Getümmel entließen. Vor der Apotheke
in Vaake etwa rollt ein Kind seitlich ins Rad einer 40jährigen
Frau. Die stürzte und zog sich so starke Knieverletzungen
zu, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden musste. Die
Eltern des Kindes verweigerten die Herausgabe der Personalien,
das RP sucht Zeugen (fon 0561-106 1013)
Nächste Woche treffen sich alle beteiligten Kommunen
zur Manöverkritik. Ein Hauptthema dabei: Wie kann
für mehr Sicherheit auf der Strecke gesorgt werden?
Keinesfalls, so Conrad, könne und solle die Zahl
der Teilnehmer beschränkt werden. "Wir werden
verstärkt deutlich machen, dass auch beim Sattelfest
die Regeln des Straßenverkehrs gelten und an die
Vernunft der Leute appellieren. Mehr können wir wohl
nicht tun."
Wichtig ist Conrad aber eine Botschaft: "Das Sattelfest
ist keine gefährliche Veranstaltung, sondern soll
vor allen Dingen Spaß machen." Neue Geschwindigkeitsrekorde
sollten dabei auf keinem Rad aufgestellt werden.
Quelle: HNA Kassel, 4.6.2003
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